Über den Unsinn (1947) |
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Wie alles Natürliche hat der Unsinn sein eigenes Gefälle, dem man sich getrost überlassen darf. Wie immer, wissen zwei Arten von Menschen am besten mit ihm umzugehen: die ganz Unschuldigen und die Wissenden, jene aus Instinkt, diese mit Kunst. Kleist hat das in seiner Studie über das Marionettentheater auseinandergesetzt. Carrols ,Alice im Wunderland" ist ein klassisches Unsinnbuch. Genießt man es wie einen Apfel oder wie ein Kunstwerk, so ist man eins mit dem Verfasser, der es - aus Spaß - für ein kleines Mädchen geschrieben hat, und mit Millionen von Kindern, die es seither gelesen haben. Zergliedert man es, so schaut man dem Autor ins seelische Getriebe - also dorthin, wo er sich vermutlich nicht umgeschaut hat; für die Kunst ist somit nichts gewonnen, nur für den Kommentator. Aber auch er vermag den Unsinn in kein System zu bringen, denn Unsinn hat keines. Wohl aber besitzt er die Eigenschaft, dem Geist eine Vibration mitzuteilen, die sehr anregend sein kann; freilich ist darauf kein Verlaß. Manche Menschen empfinden diese Vibration als unbehaglich ; sie wollen wissen, woran sie sind, und das ist - wenn überhaupt - gerade in diesem Fall nicht gut möglich. Wenn die Nonsens-Komiker, Karl Valentin oder Alexis, auf der Bühne standen, weinten die Zuschauer vor Lachen. |
Hinterher schütteln viele den Kopfüber sich selber. "So ein Unsinn!" sagen sie, und es war ihnen peinlich, daß sie sich hatten "gehen lassen". Sie hätten nichts Besseres tun können. Hingabe an den Unsinn, an sein spielerische, unberechenbares Gefälle ist Erholung - vielleicht die größte, die man erfahren kann. Wer sich nicht ab und zu gehen läßt, geht sich müde. Echter Unsinn ist nie ein Kurzschluß. Er wird nicht von Leuten erzeugt, die dem Sinn ausweichen, sondern von solchen, die ihn durchdrungen haben und das Bedürfnis verspüren, rein zum Scherz einige Kapriolen zu schlagen. Man muß Hughes' " Walfischheim" gegen seinen "Sturmwind von Jamaika" halten und Morgensterns „Galgenlieder" mit den „Stufen" zusammensehen. Der Unsinn gehört dem Sinn zu; er ist seine Kehrseite. In den Gefilden des Sinns herrscht strenge Hierarchie, im Reich des Unsinn fröhliche Anarchie, auch gibt es dort keine Standesunterschiede: gleiche Kappen, gleiche Brüder.
Das Gewinnende am Unsinn ist seine Offenheit. Er will nicht
mehr scheinen, als er ist; ein Jeder kann ihm an der Stirne ablesen, was
er vorstellt, - jeder ist genarrt. Das unterscheidet ihn vorteilhaft von
den Allzuvielen unter den
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