Eine Erzählung aus der Nachkriegszeit:
Die Untat  
 
Veröffentlicht wurde diese Erzählung Kusenbergs im Dezember 1947 in den "Berliner Heften für geistiges Leben", die mit Genehmigung der französischen Militärregierung ebendort erschienen.

Kälte, Hunger und Not bestimmen den Alltag. Das in Trümmern liegende Land ist in Zonen geteilt, seine Bevölkerung in Täter, Unterstützer, Mitläufer, Nutznießer, Opfer und Hinterbliebene. Der „Internationale Militärgerichtshof" gegen die NS-Hauptkriegsverbrecher hat im Oktober 1946 sein Urteil verkündet, und es laufen dort sowie in allen vier Besatzungszonen die Nachfolgeprozesse, in denen die Verbrechen der Nationalsozialisten untersucht werden. Und wenn die Entnazifizierung und "Re-education" auch von den Alliierten betrieben werden, so müssen die Überlebenden doch schließlich selbst Wege finden, die Vergangenheit zu bewältigen, um eine Zukunft zu haben.

In dieses Land kehrt Kusenberg aus dem Gefangenenlager der Amerikaner bei Neapel im Frühjahr 1947 zurück zum Haus der Familie bei Bühl und arbeitet als Lektor des Rowohlt-Verlages sowie als freier Schriftsteller. Es entsteht eine Reihe von Manuskripten, und als eines der ersten wird "Die Untat" veröffentlicht.
In ihrer Erzählweise ähnelt sie denen der Erzählungen aus dem 1948 erschienenen "Herr Crispin", und nicht untypischerweise wird am Ende auch wieder mal geheiratet (was in Kusenbergs Erzählungen gerade jener Jahre häufiger vorkommt). Wie so manch andere frühe Erzählung rundet sie sich auch stark, wirkt somit
   vielleicht etwas "konstruiert". Aber trotzdem ist diese Geschichte im Werk Kusenbergs reichlich außergewöhnlich.

Daß sie "altmodisch" wirkt, und zwar in allem, angefangen von der Zeit, in die sie gestellt wurde bis hin zur Sprache, in der sie erzählt wird, scheint fast zwingend, will man im Jahre 1947 den Leser langsam Zeile für Zeile in Gedanken zu Hass, Mord, Schuld und Sühne ziehen, um mit zwei kühnen Überlegungen die Geschichte des Umganges mit der "Untat" komplett zu wenden, und Nachdenklichkeit zu schaffen.

Daß dies manchmal wie eine Mischung aus Parabel,  Kalendergeschichte und Kunstmärchen anmutet, liegt auch wohl daran, daß in dieser Zeit Verantwortung und Versöhnung, Moral und Happy End, wohl genauso stark herbeigesehnt werden, wie sie unerreichbar scheinen. Die vermeintliche "Konstruiertheit" der Erzählung spiegelt somit  lediglich die Größe der zu bewältigenden Aufgabe jener Jahre wider.

Kusenberg mag, wie er selbst sagte, "als Schreiber nicht zu den Engagierten gezählt haben", aber diese Erzählung - noch ein paar Jahre vor "Und wenn wir leben wollten?" aus "Worte wider Waffen" entstanden - zeigt einen politisch äußerst bewußten Menschen, der mit seinem Werkzeug sehr souverän mit dem erdrückenden Thema umgeht.

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